1. Königsurkunde
Zum Typus: Die deutsche Königsurkunde hat eine lange, ununterbrochene Tradition, denn sie geht über die Urkunden der Karolinger bis in die Zeit der Merowinger zurück. Allerdings sind erst ab den Karolingern Königsurkunden in den deutschen Archiven erhalten. Königsurkunde und Papsturkunde bilden die beiden Säulen der Schriftlichkeit im Rechtsleben, welche die Spätantike mit dem Mittelalter verbinden. Zugleich sind sie die wohl am besten erforschten Quellenarten in der europäischen Forschung. Die deutschen Königsurkunden werden von den Monumenta Germaniae Historica ediert, wobei die Edition, mit geringen Lücken, bis Kaiser Friedrich II. (1212-1250) fortgeschritten ist. Ab dem Interregnum (1254 ff.) fehlen für die Folgezeit Forschungen wie Editionen weitgehend.
Inhalt (Kurzregest): Kaiser Ludwig belehnt Heinrich von Mvr sowie dessen Hausfrau Irmengart, dann Vlrich den Willebrand und dessen Hausfrau Mehtild mit dem Gericht Chesching (Kösching), nachdem beide dem Kaiser je 880 Pfund Heller Darlehen gegeben hatten, die ihnen auf Kösching versichert worden waren. Willebrand gab außerdem dem Kaiser sein Lehen Burg Toltze (Tölz) zugunsten von Kösching auf. Gegeben zu Werde (Donauwörth) am 9. Mai 1330.
Erläuterung: Alle Urkunden sind durch ihr Formular geprägt, das allerdings je nach Zeit und Aussteller variabel ist. Die abgebildete, schlichte Urkunde Kaiser Ludwigs des Bayern aus dem Jahr 1330, der hier allerdings als Herzog für sein Fürstentum Oberbayern handelt, zeigt die zwingend notwendigen Formularbestandteile. Als einzige Ausschmückung diente die vergrößerte und verzierte Initiale W von Wir am Urkundenanfang. An gelb-roten Seidenfäden ist sein aus Wachs gefertigtes Thronsiegel (Herrscher auf einer Thronbank sitzend, mit Szepter in der Rechten und Reichsapfel in der Linken, zwei Löwen zu seinen Füßen, seitlich der Thronbank zwei Adler) angebracht. Die Urkunde wurde durch einen Kassationsschnitt (mitten in der Urkunde von oben nach unten) ungültig gemacht, vermutlich weil Kaiser Ludwig die Darlehen zurückzahlte.
Transkription (mit Beschreibung des Urkundenformulars):
Intitulatio (Nennung des Ausstellers): „Wir Ludowich von gots gnaden ro[e]mischer cheiser ze allen zeiten merer dez reichs“,
Publikatio (Veröffentlichungsformel, die aus Rechtsgründen unverzichtbar ist): „veriehen vnd tu[o]n chunt allen den, di disen brief ansehent oder ho[e]rent lesen,“
Narratio (Erzählung der Vorgeschichte, die zu diesem Rechtsgeschäft führte): „daz wir angesehen haben die vleizzige dienst, di vns triwelich vnser liebe getriwen Heinrich von Mv[e]r vnd V[o]lrich Willebrant, ritter, alle zeit getan habent vnd auch fu[o]r ahthundert pfunt vnd ahtzich pfunt haller, die wir dem selben von Mv[o]r, seiner hausfrawen vnd seinen erben schuldig sein, darvmb in Chesching stu[o]nde vnd fu[o]r ahthundert pfunt vnd ahtzich pfunt haller, di wir auch auf Chesching demselben Willebranden, seiner hausfrawen vnd iren erben ze heimstewer geben haben, vnd auch darvmb, daz vns der vorgenant V[o]lrich Willebrant die purch To[e]ltze vnd swaz darzv[e] geho[e]ret, die wir im ze rehtem lehen verlihen heten, aufgeben hat,“
Dispositio (Rechtsverfügung): „haben wir mit gu[o]tem willen vnd verdahtem mu[o]t den vorgenanten Heinrichen von Mu[o]r, Iremgartem seiner hausfrawen, V[o]lrichen dem Willebranden, Mehtilden seiner hausfrawen vnd allen iren erben, di si fu[o]rbas mit einander gewinnent, es sein sv[o]n oder to[e]hter, verlihen vreilich vnd verleihen ze rehtem lehen Chesching vnd swaz darzv[e] geho[e]ret",
Pertinenzformel (Aufzählung, was alles dazu gehört): "mit allem gerihte, lav[o]ten und gu[o]ten ze dorfe, ze velde, ze wisen, ze wazzer, ze weyde vnd ze holtze oder swie ez geheizzen ist, mit allen rehten, nu[e]tzen vnd gewonheiten, als wir ez herbraht haben, besu[o]ht vnd vnbesu[o]ht, an vnser edellav[o]te vnd die manlehen, die vnser edellav[e]te doselbe von vns habent."
Erbenkonsens und Gewährschaft: "Vnd haben daz getan mit willen vnd gu[o]nst vnser lieben sv[e]ne vnd fu[e]rsten Ludwigs, marcgrauens ze Brandenburch, vnd Stepfans, hertzog ze Beyren, fu[o]r vns vnd si vnd vnser vnd ir erben, di wir oder si chu[o]mftichlich gewinnen. Dez gu[o]ts wir auch ir herre vnd gewer vnd di vorgenanten vnser sv[o]ne sein wellen, daz si daran dheinenweiz geirret noch beswaert werden".
Korroboratio (Bekräftigung der Urkunde): „Vnd darv[o]ber ze vrchu[o]nde geben wir in disen brief mit vnserm cheiserlichem insigel versigelten“.
Datierung: „Der geben ist ze Werde, do man zalt von Christes gebu[o]rde dreutzehenhundert jar, darnach in dem dreizzigestem jar, an der mitihen nach dem suntag swenne man singet Cantate, in dem sehtzehendem jar vnsers reichs vnd in dem dritten dez cheisertu[o]ms“.