Einleitung
I. Vorbemerkung zum Gesamtbestand "Landtag" des Bayerischen Hauptstaatsarchivs
Die Volksvertretung bestand in der konstitutionellen bayerischen Monarchie aus zwei Kammern: der Kammer der Reichsräte und der Kammer der Abgeordneten. Sie bildeten zusammen die Ständeversammlung bzw. seit 1848 den Landtag. Im Freistaat Bayern vertrat von 1919 bis 1933 der Bayerische Landtag das Volk, bestehend aus nur einer Kammer.
Die Tätigkeit dieser parlamentarischen Körperschaften spiegelt sich in zwei großen Dokumentationen. Einmal wurde über die Plenumsverhandlungen Protokoll geführt und diese Niederschriften samt den "Beilagen" gedruckt. Erschlossen sind die entsprechenden Unterlagen durch ebenso gedruckte Repertorien, außerdem durch so genannte Generalrepertorien in Zettelform. Zum anderen entstanden zu den eingebrachten Gesetzentwürfen, Anträgen, Eingaben etc. bei den genannten parlamentarischen Körperschaften auch Akten. Akten erwuchsen außerdem bei der Verwaltung alles dessen, was die Gremien zu ihrem Funktionieren brauchten: Gebäude, Personal, technische Einrichtungen, Verfahrensregeln u.ä..
Die Protokolle über die Eröffnung und Schließung des Landtags und die Landtagsabschiede wurden seit 1819 im Allgemeinen Reichsarchiv (einem der Vorläufer des Bayerischen Hauptstaatsarchivs) hinterlegt, die Landtagsabschiede außerdem vom Archivariat der Ständeversammlung bzw. des Landtags verwahrt. Dem Archivariat oblag auch die Betreuung des gesamten sonstigen schriftlichen Niederschlags zur Tätigkeit der beiden Kammern bzw. des Bayerischen Landtags. Die Archivare gewichteten die entsprechenden Unterlagen jedoch durchaus unterschiedlich. Sie verwandten auf die Erstellung und Erschließung der Plenumsprotokolle und Beilagen sehr große Sorgfalt. Diese Materialien erachteten sie als die wesentliche und in der Sache vollständige Dokumentation der parlamentarischen Tätigkeit. Das Aktengut galt ihnen dagegen als zweitrangig, als nicht alle Materien umfassend, ihre Bildung überließen sie dem Kanzleipersonal und die erfolgte Strukturierung und Erschließung der Akten sahen sie selbst als defizitär an.
Getrennt nach den genannten Körperschaften waren die Unterlagen im Gebäude der Ständeversammlung bzw. des Landtags selbst aufbewahrt (München, Prannerstraße 20 u.a.).
Die Nationalsozialisten liquidierten den Bayerischen Landtag 1934 endgültig und beanspruchten sein Gebäude für eigene Zwecke. So wanderte die gedruckte Dokumentation des Landtags in die Bayerische Staatsbibliothek, die Aktenbestände wurden Anfang Dezember 1934 in das Bayerische Hauptstaatsarchiv transferiert. Durch rechtzeitige Verlagerung (Schloss Teisbach, Schloss Waal) konnten Letztere vor Kriegsverlusten bewahrt werden. Nach der Errichtung des neuen Bayerischen Landtags 1946 übernahm dieser die in seiner Tradition als gewählte Volksvertretung stehenden Teile des ehemaligen Landtagsarchivs - die Unterlagen der Kammer der Abgeordneten und des Landtags 1919-1933 - in eigene Regie zurück. Die Akten der Kammer der Reichsräte mit den bei dieser Kammer erwachsenen Verwaltungsakten verblieben dagegen in der Obhut des Hauptstaatsarchivs und bildeten dort einen entsprechenden Archivbestand. Im (neuen) Landtagsarchiv wurde aus den Unterlagen, die über Verwaltungsangelegenheiten bei der Kammer der Abgeordneten und beim Landtag 1919-1933 entstanden waren, sowie aus den Geschäftsakten des früheren Landtagsarchivariats der separate Bestand der so genannten General- und Direktorialakten aufgestellt.
Der Bayerische Landtag beschloss im Jahr 2004, sich von den älteren Teilen seines Archivs zu trennen. Das Hauptstaatsarchiv übernahm daher noch in demselben Jahr das bis 1933 erwachsene Aktengut des Landtagsarchivs erneut, ebenso nun auch die gedruckten Plenumsprotokolle und Beilagen. Die gebundenen Drucksachen wurden hier der Amtsbibliothek zugewiesen. Die Aktenbestände der Kammer der Abgeordneten, des Landtags 1919-1933 und der Verwaltungsakten (General- und Direktorialakten) wurden einer Überarbeitung und digitalen Erfassung unterzogen. Die unzureichende Ordnung und Erschließung der Unterlagen konnte dadurch allerdings nicht vollständig behoben werden, weil eine völlige Neubearbeitung nicht möglich war. Die übernommenen eigenständigen Teile des älteren Landtagsarchivs aber bilden nun unter Einbeziehung der ebenfalls überarbeiteten Akten der Kammer der Reichsräte sowie der im Allgemeinen Reichsarchiv hinterlegten bzw. vom Landtagsarchiv verwahrten besonderen Dokumente (s.o.) den neuen mehrgliedrigen Gesamtbestand "Landtag" des Hauptstaatsarchivs. Dieser drückt seine Einheit in einer durchgängigen Signatur aus. Der Bestand kann auch ergänzt werden, falls der Landtag nach Art. 12 Abs. 2 BayArchivG Unterlagen abgeben sollte, die bei ihm seit 1946 entstanden sind. Jetzt bilden die folgenden Teile den Bestand "Landtag":
1. Kammer der Reichsräte (Repertorien Bd. 1/1 (Matrikel) und 1/2 (Akten), Bestellsignaturen: Landtag 1-3388)
2. Kammer der Abgeordneten (Repertorium Bd. 2 (physisch in drei Teilbänden 2/1 - 2/3), Bestellsignaturen: Landtag 3389-10188)
3. Verfassungsurkunden, Landtagsabschiede (Repertorium Bd. 3, Bestellsignaturen: Landtag 10189-10341)
4. Verwaltungsakten (Repertorium Bd. 4, Bestellsignaturen: Landtag 10342-11788)
5. Landtag 1919-1933 (Repertorium Bd. 5, Bestellsignaturen: Landtag 11789-14898)
Jedes der Teilrepertorien ist zum besseren Verständnis mit einer spezifischen Vorbemerkung eingeleitet. Weil die Findmittel je nach Forschungsgegenstand unabhängig voneinander benutzt werden, sind bei den Einführungen informatorische Wiederholungen in Kauf genommen worden.
Das Bayerische Hauptstaatsarchiv beschränkte seine spezielle Zuständigkeit für die zentralen Behörden Bayerns auch früher nicht ausschließlich darauf. Nachdem es aber das Archiv des Bayerischen Senats nach dessen Erlöschen (1999) übernommen und 2004 die Betreuung der älteren Teile des Landtagsarchivs übertragen erhalten hatte, veränderte das Hauptstaatsarchiv seinen Charakter endgültig derart, dass es nicht mehr als bloßes Behördenarchiv angesprochen werden kann: Es ist nun die zentrale Dokumentationsstelle für die drei Gewalten des demokratisch legitimierten und organisierten bayerischen Staates - der Legislative, der für das ganze Land zuständigen Exekutive und der obersten Gerichte. Für die Recherche im Hauptstaatsarchiv müssen - neben den zentralbehördlichen und oberstgerichtlichen Beständen - nun auch die Überlieferungen der Vertretungskörperschaften ins Auge gefasst werden, wenn es um Forschungen aus der Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts in Bayern geht.
In der monarchischen bzw. konstitutionellen Zeit stand der König im Rahmen des sich politisch freilich abschwächenden monarchischen Prinzips über den staatlichen Organen. Diese Rolle des Königs spiegelt sich in den bis 1918 geführten Unterlagen des neuen Bestands "Landtag" (vgl. vor allem Repertorium Bd. 3), darüber hinaus implizit, aber deutlich in den älteren Ministerialaktenbeständen und besonders in den von der Abteilung III des Hauptstaatsarchivs verwahrten Kabinettsakten und Nachlässen der Monarchen.
November 2007
Renate Herget, Stefan Thiery
II. Vorbemerkung zum Findbuch "Landtag 1/1: Kammer der Reichsräte Matrikel" (gekürzt)
1. Zusammensetzung der Kammer der Reichsräte
Die Mitgliedschaft in der Kammer der Reichsräte war entweder an das Erbrecht, an ein Amt oder an eine spezielle königliche Ernennung geknüpft. Die in Titel VI § 2 der Verfassung des Königreichs Bayern vom 26. Mai 1818 bestimmte Zusammensetzung nach einzelnen Mitgliedsgruppen (Königliche Prinzen, Kronbeamte, Erzbischöfe, Standesherren, Bischöfe, General- bzw. Oberkonsistorialpräsidenten, Erbliche und Lebenslängliche Reichsräte) wurde bis 1918 unverändert beibehalten.
2. Die Anlage der Matrikel der Kammer der Reichsräte
Eine Kommission der Kammer der Reichsräte untersuchte, ob bei dem Neueintretenden die verfassungsmäßigen Voraussetzungen seiner Mitgliedschaft gegeben waren. Diese Legitimation geschah durch Vorlage jener Urkunden, aus welchen das Vorhandensein aller verfassungsmäßigen Erfordernisse der Mitgliedschaft hervorging. Die Reichsrätekammer führte über ihre Mitglieder eine Matrikel, in welcher die Namen, Wappen und Legitimationsbelege eingetragen wurden. Am 18. März 1840 erteilte das Direktorium der Kammer der Reichsräte dem geheimen Registrator des königlichen Staatsrates August Ferdinand Stademann als dem "Dirigenten der Kammer der Reichsräte" den Auftrag, aus den Protokollen des Direktoriums und der Legitimationskommission mit der Erstellung eines Matrikel- und Urkundenbuchs zu beginnen (vgl. Landtag 5). Angefertigt wurde das Werk dann von dem Ingenieurgeographen im Generalquartiermeisterstab der Armee Johann Adolf Sommer und seinem Sohn Ludwig in den Jahren 1843 bis 1852. Es besteht aus den Matrikelbögen sowie Abschriften von Urkunden (z.B. Ernennungs-Dekreten, Taufzeugnissen, Totenscheinen usw.). Zur nachträglichen Unterschrift wurden die Matrikelbögen an die Reichsräte versandt.
Nicht nur die Matrikelbögen, sondern auch die Urkundenabschriften waren sehr aufwendig gestaltet, weshalb das Direktorium am 19. Mai 1874 beschloss, sämtliche Legitimationsbelege eines Reichsrats auf einem einzigen Pergamentblatt zusammenzuschreiben (vgl. Landtag 5). Dieses Modell hatte nur kurze Zeit Bestand. Nachdem auch die bisherigen, aufwendig gestalteten Matrikelbögen (Pergamentblätter mit vorgedrucktem Rahmen) im Jahre 1909 zu Ende gegangen waren, wurde 1911 das Format unter Weglassung der kunstvoll ausgestatteten Einfassung von 45 x 60 cm auf 28 x 47 cm verkleinert (vgl. Landtag 7). Die Herstellung auf Schaffellpergament wurde beibehalten. Die Legitimationsbelege liegen nur für den Zeitraum bis ca. 1852 und um 1875 vor, während die Matrikelbögen der meisten Reichsräte bis 1917/18 überliefert sind.
3. Gliederung der Matrikel
Die Matrikelbögen sind unter der Bestellnummer 1 (mit zweigliedriger Unternummer) gemäß der von der Verfassung vorgegebenen Ordnung nach den einzelnen Gruppen der Kammer der Reichsräte gegliedert:
A) - Königliche Prinzen von Bayern und Herzöge in Bayern (1/A 001 – 1/A 030)
- Herzöge von Leuchtenberg (1/A 032 – 1/A 034)
B) Kronbeamte
- Kronobersthofmeister (1/B 001 – 1/B 004)
- Kronoberstkämmerer (1/B 005 – 1/B 008)
- Kronoberstmarschall (1/B 009 – 1/B 010)
- Kronoberstpostmeister [Fürsten von Thurn und Taxis] (1/B 011 – 1/B 015)
C) Erzbischöfe von
- München und Freising (1/C 001 – 1/C 008)
- Bamberg (1/C 009 – 1/C 016)
D) Standesherren (1/D 001 – 1/D 086)
E) Bischöfe (1/E 001 – 1/E 010)
F) Präsidenten des General- bzw. Oberkonsistoriums (1/F 001 – 1/F 009)
G) Erbliche Reichsräte (1/G 001 – 1/G 103)
H) Lebenslängliche Reichsräte (1/H 001 – 1/H 099)
Die Gruppen B) und C) bilden in der Terminologie der Kammer die "Amtlichen Reichsräte A", die Gruppen E) und F) die "Amtlichen Reichsräte B".
4. Verzeichnung der Matrikel und Ordnungsprinzipien
Es wurden somit sämtliche Reichsräte erfasst, auch jene wenigen, bei denen sich entweder kein Matrikelbogen erhalten hat oder – wahrscheinlicher – keiner angefertigt wurde. Bei der Verzeichnung wurden folgende Ordnungsprinzipien angewandt:
- Mitgliedsgruppe, ggf. auch Untergruppe (A – H)
- Chronologie nach Eintrittsdatum
Bei den Standesherren D) und Erblichen Reichsräten G) richtete sich die Chronologie nach dem Eintrittsdatum des ersten Familienmitglieds. Sind Reichsräte oder Familien der gleichen Gruppe am gleichen Tag in die Kammer der Reichsräte eingetreten (besonders zum 31. Januar 1819), so wurde innerhalb dieser Gruppe die alphabetische Ordnung in Anwendung gebracht. Gelegentlich können Ernennungs- und Eintrittsdatum stark voneinander abweichen. Auch kann es gelegentlich vorkommen, dass zwar ein Matrikelbogen angefertigt wurde, der betreffende Reichsrat aber nie in die Kammer der Reichsräte eingetreten ist. Derartige Matrikelbögen wurden an derjenigen Stelle in die Chronologie eingereiht, wo sie ihren Platz gehabt hätten, wenn der betreffende Reichsrat in die Kammer eingetreten wäre. Unklare oder erschlossene Daten wurden dabei in eckige Klammern [ ] gesetzt. In den beiden Fällen, wo Standesherren 1818/19 nichterbliche Kronbeamte waren und deshalb nicht auch noch den Sitz ihres Hauses einnehmen konnten, wurde das Eintrittsdatum des standesherrlichen Regierungsnachfolgers als das für die Chronologie maßgebliche erachtet.
Die Personenangaben auf den Matrikelbögen wurden – soweit feststellbar – um das Sterbedatum, ferner bei den Lebenslänglichen Reichsräten auch um eine Berufsbezeichnung ergänzt. Verwandtschaftsverhältnisse wurden nach Möglichkeit durch Querverweise angegeben. Im Betreff wurden sämtliche Vornamen und Titel nach der Schreibweise des Matrikelbogens buchstabengetreu übernommen, während im Personenregister nur der oder die gebräuchlichen Vornamen sowie die nach dem Genealogischen Handbuch des in Bayern immatrikulierten Adels adelsrechtlich korrekte Schreibweise Verwendung fanden. Die Bestellnummern 2 bis 7 wurden wegen des numerischen Zusammenhangs und weil sie mit der Matrikel der Kammer der Reichsräte in sachlicher Verbindung stehen, in dieses Findbuch aufgenommen.
5. Abschriften von Urkunden zur Legitimation
Die Matrikel der Kammer der Reichsräte bestand neben den Matrikelbögen aus den Abschriften von Urkunden zur Legitimation. Letztere werden unter Bestellnummer 8 aufgeführt. Dabei wurden die gleiche Gliederung wie bei den Matrikelbögen (= Landtag 1/...) und die gleichen Unternummern (A – H ...) verwendet, wobei alle auf eine Person bezogenen Urkundenabschriften unter einer Bestellunternummer zusammengefasst wurden. Hat man z.B. den Matrikelbogen von Kronprinz Maximilian von Bayern (nachmals König Max II. von Bayern) unter der Signatur Landtag 1/A 005 ermittelt, so finden sich die Urkundenabschriften unter der Signatur Landtag 8/A 005. Da nicht für jeden Reichsrat Urkundenabschriften angefertigt worden sind, kommt es bei den Unternummern von Bestellnummer 8 zu zahlreichen springenden und Leernummern.
6. Aussagekraft als Quelle
Die Mitglieder der Kammer der Reichsräte entstammten v.a. dem Adel und der Geistlichkeit, doch fanden sich auch Wissenschaftler, Künstler und Industrielle, die in den Adelsstand erhoben wurden. Matrikelbögen und Urkundenabschriften können somit trotz ihrer inhaltlich eher geringen Aussagekraft aufgrund ihrer repräsentativen äußeren Form (teilweise mit Wappendarstellungen) das Bild zahlreicher bedeutender Bayern formschön ergänzen und dürften somit auch zu Ausstellungszwecken bestens geeignet sein.
August 2003
Markus Frauenreuther
Inventar (mit vollständiger Fassung der Vorbemerkung): Renate Herget und Stefan Thiery (Bearb.), Bayerisches Hauptstaatsarchiv. Bayerischer Landtag. Kammer der Reichsräte (Bayerisches Archivinventar 59/1), München 2011