Abteilung I Ältere Bestände
Vorbemerkung:
Die älteren Bestände des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, die organisatorisch in der Abteilung I zusammengefasst sind, befinden sich in einer Phase des Umbruchs, die sich in dem Aufeinanderstoßen von zwei unterschiedlichen Ordnungssystemen äußert. Während der größere Teil der Bestände noch nach dem sog. Pertinenzprinzip geordnet ist, das die Archivare des 19. Jahrhunderts anwandten, bemüht man sich inzwischen, das Archivgut so zu reorganisieren und zu restrukturieren, dass die ursprünglichen Archivkörper wieder aufleben. Bei der Wiederherstellung historischer Provenienzen geht es darum, geschichtlich gewachsene Strukturen und Verwaltungsgliederungen im Archivgut und dessen Organisation wieder sichtbar werden zu lassen.
Die bis 1799 in München bestehenden Zentralarchive, aber auch die Registraturen der im gleichen Jahr aufgelösten kurfürstlichen Zentralbehörden wurden seit diesem Zeitpunkt ohne Rücksichtnahme auf die organisch gewachsenen Strukturen der bisherigen Archivkörper auf die drei neugeschaffenen Archive, das Geheime Hausarchiv, das Geheime Staatsarchiv und das Geheime Landesarchiv, aufgeteilt, wobei die Masse des Archivguts auf das Geheime Landesarchiv entfiel (vgl. S. 3 ff.). Innerhalb dieser drei neuen Archive legte man neue Bestände an, die im Regelfall entweder nach dem Ortsbetreffs- oder nach dem Sachbetreffsprinzip aufgebaut wurden und sich ganz erheblich von der ursprünglichen Beständestruktur unterschieden. Da jedoch längst nicht das gesamte Schriftgut der alten Archiv- und neu übernommenen Behördenregistraturkörper nach dem sog. Pertinenzprinzip umgeordnet wurde, war die Folge ein unbefriedigendes Nebeneinander von Restbeständen ursprünglicher Archiv- und Registraturkörper und neugeschaffenen Pertinenzbeständen. Fast noch nachteiliger machte sich das Scheitern der im Zuge der Pertinenzumordnung angewandten, sehr groben und pauschalen Einteilungsmethoden bemerkbar, die in keiner Weise der historisch gewachsenen Vielgliedrigkeit des Kurstaates und der der in ihm aufgegangenen unterschiedlichsten Institutionen gerecht wurden. Im Endergebnis war kein Archivbestand bzw. keine Registratur einer kurfürstlichen Zentralbehörde aus der Zeit vor 1800, kein Archiv eines Klosters oder einer weltlichen Herrschaft in seiner ursprünglichen Struktur in das 20. Jahrhundert überkommen. Nachdem sich auch in Bayern allmählich das Provenienzprinzip als allein gültige Maxime zum Aufbau eines Archivs durchzusetzen begann, wurde ansatzweise in den 1930er und verstärkt seit den 1960er Jahren die Rekonstruktion der ursprünglichen Schriftgutkörper in Angriff genommen (vgl. Jaroschka, Die Wiederherstellung historischer Provenienzen im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, in: Der Archivar 32, 1979). Die Arbeiten sind noch in vollem Gange, so dass derzeit nur die Beschreibung eines Zwischenzustands geboten werden kann. Abweichend von den beiden ersten Auflagen dieses Kurzführers werden nun weitere Fonds aufgeführt, die aus den Pertinenz- und Mischbeständen rekonstruiert wurden. Bei der nachfolgenden Vorstellung der Bestände wird deshalb differenziert, ob es sich um einen herkömmlichen Pertinenzbestand handelt, wie ihn das 19. Jahrhundert geschaffen hat, oder um einen Archivkörper in seinem (wiederhergestellten) ursprünglichen Herkunftszusammenhang.