Habent sua fata libelli – Bücher haben ihr eigenes Schicksal, so auch die 36 Bände mit Depeschen, Korrespondenz und Notizen des Grafen Maximilian Emanuel Franz Van Eyck (1711–1777), die dieserin seiner Funktion als außerordentlicher Gesandter Bayerns in Paris vom 24. Juni 1755 bis 20. Oktober 1777 führte. Die Aufzeichnungen ermöglichen einen einmaligen Blick in die diplomatische und höfische Welt in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Nach 226 Jahren wurde das Konvolut im März 2023 auf einer Auktion in Versailles für das Bayerische Hauptstaatsarchiv ersteigert. Im April 2023 kamen die Bände nach München und wurden in die Bestände der Abteilung V Nachlässe und Sammlungen des Bayerischen Hauptstaatsarchivs als Nachlass Van Eyck eingereiht.
Maximilian van Eyck, ein Niederländer in bayerischen Diensten in Paris, wohnte und arbeitete im repräsentativen Hôtel de Beauvais im Pariser Marais, das er zunächst mietete und 1759 kaufte. Hier empfing er – um nur ein Beispiel zu nennen – von November 1763 bis April 1764 den jungen Wolfgang Amadeus Mozart mit seinem Vater Leopold. Dieser Besuch ist über andere Quellen nachweisbar, aber über den Nachlass nicht belegt. Für sich ließ er alles, was im Zusammenhang mit seiner diplomatischen Tätigkeit für Bayern anfiel, in 36 einheitlich in Leder gebundenen Bänden, von einem professionellen Schreiber notieren bzw. auslaufende Korrespondenz abschreiben. Mehrfach ergänzen farbige Skizzen und Zeichnungen die Ausführungen, besonders im Zusammenhang mit militärischen Operationen.
Nach Van Eycks Tod 1777 blieben die Bände im Privatbesitz der Nachkommen, bis sie schließlich nach einer ersten Versteigerung im Jahr 2014, im Sommer 2020 im französischen Antiquariatshandel wieder auftauchten. Der geforderte Preis überstieg die finanziellen Möglichkeiten der Staatlichen Archive Bayerns ganz erheblich, weshalb zunächst auf einen Ankauf verzichtet werden musste. Im März 2023 bot ein Auktionshaus in Versailles das Konvolut erneut zum Verkauf an. Die Staatlichen Archive Bayerns gaben bei der Versteigerung ein Gebot ab und konnten den einzigartigen Be- stand diesmal für den freien Zugang durch die Geschichtsforschung sichern. Das Konvolut ergänzt wesentlich die 26 Akten unter dem Namen van Eyck, die im Bestand Kasten Schwarz des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, einem Mischbestand mit Akten des kurbayerischen Geheimen Rates zur Reichs- und Außenpolitik Bayerns, zu finden sind. Das Besondere am Nachlass Van Eyck ist die Vollständigkeit der ein- und ausgehenden Depeschen dieses Diplomaten.
Als „Register der aktiven und passiven Korrespondenz des Vertreters des bayerischen Kurfürsten am französischen Hof“ lässt sich der schriftliche Niederschlag Van Eycks zusammenfassen. Die Bände sind chronologisch aufgebaut und haben – mit Ausnahme der fünf letzten – an ihrem Ende jeweils eine Inhaltsübersicht.
Van Eyck stand seit 1743 in Diensten des Wittelsbacher Kardinals Johann Theodor von Bayern (1703–1763) in Lüttich. Dieser empfahl ihn dem bayerischen Kurfürsten Max III. Joseph (1727–1777), der seit 1745 in München das Kurfürstentum Bayern als entschiedener Verbündeter Frankreichs regierte und dem Zwist zwischen den Häusern Habsburg-Lothringen und Wittelsbach ausgesetzt war. Sein Vater hatte 1742 nach der Kaiserkrone gegriffen, Wien versuchte im Gegenzug, sich das Kurfürstentum anzueignen. In diesem gespannten Kontext wuchs die traditionelle Verbindung mit Frankreich und damit auch die Bedeutung des bayerischen Vertreters in Paris in der Person Van Eycks.
Die Hauptkorrespondenten des bayerischen Diplomaten sind die Außenminister des Kurfürstentums Graf Preysing bis 1764, Baron Schroff, der unter ihm arbeitete, Graf Paumgarten bis 1772 sowie Graf Seinsheim. Van Eycks gutes Verhältnis zum Kurfürsten zeigt sich in der Verdoppelung ihrer direkten Korrespondenz zwischen 1772 und 1776, die bisweilen auch von einem vertraulichen Ton geprägt ist. Wie im diplomatischen Kontext üblich, ist es einerseits ein geheimer Austausch, andererseits ein Briefwechsel zu verschiedenen Themen des Hauses Wittelsbach.
Van Eyck spricht viel von den Angelegenheiten des Kurfürsten, besonders der Rivalität mit Österreich, aber er thematisiert auch die Ereignisse in Frankreich, diplomatisch wie militärisch, wie etwa die Expedition nach Minorca 1756, den Siebenjährigen Krieg (1756–1763) oder die Eroberung Korsikas 1769. Für die Innenpolitik gibt Van Eyck zahlreiche Informationen zur parlamentarischen Fronde oder zur Reform von René Nicolas Maupeou (1714–1792), der seit 1771 mit fest besoldeten Richtern der Korruption und der Ämterkäuflichkeit begegnete und die Privilegien des Amtsadels beschnitt, sodann die immense Finanzkrise des Landes sowie Skandale und Neuigkeiten vom Hof. Zu den herausragenden Ereignissen zählt etwa das Attentat von Robert-François Damiens (1715–1757) auf König Ludwig XV. 1757, das zur Verurteilung und Vierteilung des Täters führte, zu den Kuriosa das Leben des Ritters von Eon, der als Spion arbeitete und vielfach in Frauenkleidern auftrat (1728–1810). Ins Jahr 1774 fällt der Regierungsantritt König Ludwigs XVI. und damit des letzten französischenHerrschers vor der Revolution. Damit sind die 36 Bände Maximilian Van Eycks auch ein Dokument
Frankreichs in der Zeit vor den Ereignissen 1789.
Johann Pörnbacher
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