Altbestände
Struktur, Ordnungs- und Verzeichnungsstand der Altbestände spiegeln einen mehr als 200jährigen, von wechselnden Zielvorstellungen geleiteten Arbeitsprozess vieler Generationen von Archivaren wider. Das Gesicht der Beständelandschaft ist auch heute noch auf weite Strecken geprägt von gattungs- und pertinenzorientierten Misch- und Sammelbeständen, wie sie die Archivare des 19. und frühen 20. Jahrhunderts schufen. Die Fülle der vorgefundenen und aus der Säkularisationsmasse zusammenströmenden Urkunden verschmolz der letzte fürstbischöfliche, ab 1803 kurbayerische, dann großherzoglich würzburgische Archivar Andreas Sebastian Stumpf 1802 bis 1806 zu den auch in der Folgezeit fortgeführten Beständen Würzburger Urkunden (ca. 30.100 Urk.) und Würzburger Lehenurkunden (ca. 1200 Urk.). Dem in seiner überkommenen Form aus der Mitte des 18. Jahrhunderts belassenen Mainzer Urkundenarchiv fügte man einen ergänzenden Bestand als Sammelbecken für weitere Urkunden des Mainzer Bereiches hinzu (Mainzer Neuregestierte Urkunden, ca. 2100 Urk). Geburts-, Leumunds-, Vermögenszeugnisse für Privatpersonen unterschiedlicher Provenienzen brachte man in zwei besonderen Selekten unter (Würzburger Geburtsbriefe, ca. 970 Urk.; Mainzer Geburtsbriefe, ca. 180 Urk.). Aus dem in gewaltiger Zahl vorhandenen Material an Kopiaren und Amtsbüchern aller Art gingen die Mischbestände Würzburger Standbücher (ca. 1200 Bde., ca. 70 lfm), Mainzer Bücher verschiedenen Inhalts (ca. 120 Bde., ca. 8 lfm) und Rößnerbücher (ca. 260 Bde., ca. 15,5 lfm, benannt nach dem Archivfunktionär Johann Georg Rößner) hervor. Für Bände historiographischen Charakters legte man den Bestand Manuskripte an. Andere Amtsbuchserien blieben in ihrem Herkunftszusammenhang bestehen. Die von den bayerischen Rentämtern im 19. Jahrhundert abgegebenen Amtsbücher von Außenämtern der älteren Zeit blieben bis heute unter dem Namen Rentämter (Bände) beisammen (ca. 4700 Bde., ca. 280 lfm). Das in Massen zuströmende Aktengut unterschiedlicher Provenienz begann man in annähernd 25 pertinenzbestimmte Bestände (1945 gerettet nur noch ca. 16.700 Akten, ca. 220 lfm) zu verarbeiten, die zusammen mit Teilen der Amtsbücher in dem von Zetteln 1912 bis 1922 ins reine geschriebenen 32bändigen Werk Würzburger Kartons ihren repertorienmäßigen Niederschlag fanden. Die analog gedachte Verarbeitung des Kurmainzer Aktenmaterials blieb in bescheidenen Anfängen (Mainzer Kartons) stecken. Letztmals im Jahr 1860 aus Aschaffenburg übernommenes Schriftgut diverser Schriftgutbildner ließ man ebenso beieinander (Aschaffenburger Archivreste, ca. 3000 AE, ca. 100 lfm) wie die nach 1879 erfolgte Abgabe des Oberlandesgerichts Bamberg mit zahlreichen Vorgängen hochstift-würzburgischer und kurmainz-aschaffenburgischer Gerichte seit dem 17. Jahrhundert (Oberlandesgericht Bamberg, ca. 2500 AE, 125 lfm). Dem gattungsorientierten Grundgedanken des 19. Jahrhunderts folgend, führte man Rechnungen in Buch- und Heftform in dem großen Selekt Rechnungen (ca. 40 600 AE, ca. 740 lfm), Karten und Planmaterial in den drei Selekten Würzburger Risse und Pläne (905 Stücke), Mainzer Risse und Pläne (339 Stücke), Fuldaer Risse und Pläne (12 Stücke) zusammen, von denen die beiden ersteren bis in jüngste Zeit fortgeführt wurden. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges rückte man von dem bisherigen Ordnungsschema mehr und mehr ab, noch lange bevor die Gesamtheit des Schriftgutes von dem alten System erfasst worden war. Auf diese Weise überlebten historische Archivkörper oder Teile davon mehr oder weniger in ihrem ursprünglichen Überlieferungszusammenhang, wie insbesondere das nach 1782 formierte Mainzer Regierungsarchiv (ohne die im 19. Jahrhundert an andere Nachfolgestaaten abgetretenen Bestandteile), der Schriftgutniederschlag des Würzburger Gebrechenamtes, Amtsbuchbestände wie die würzburgischen Libri diversarum formarum oder die Mainzer Ingrossaturbücher. Bestände, die im 19. Jahrhundert durch Aufteilung auf andere Archive zerrissen wurden, konnten, soweit es sich um staatliche Archive Bayerns handelte, im Rahmen der unter Generaldirektor Walter Jaroschka seit 1977 in Bayern systematisch durchgeführten Beständebereinigung provenienzgerecht wieder zusammengeführt werden. Eine entsprechende Bereinigung mit Baden-Württemberg ist im Gange (Abgaben des Staatsarchivs Ludwigsburg 1997, 2002 und 2003). Unerreichbar für dieses Programm blieb freilich dasjenige Archivgut aus der Zeit des Alten Reiches, das in den Wirren der Säkularisation in nichtstaatliche Hand gelangte (vgl. die Sammlung Historischer Verein, unten Ziff. VI). Ordnungs- und bestandsbildnerische Maßnahmen des Staatsarchivs sind heute darauf gerichtet, die provenienzwidrig gebildeten Mischbestände aufzulösen und die ursprünglichen Überlieferungszusammenhänge wiederherzustellen. Erste Erfolge konnten in den letzten Jahren beim Aufbau provenienzreiner Urkundenfonds erzielt werden. Dieses gilt gleichermaßen für den Hochstift-Würzburger (Kloster Ebrach, Ebracher Klosteramt Katzwang, Stift Neumünster und Kloster Himmelspforten in Würzburg), für den Kurmainzer (Kloster Seligenstadt, Kloster/Stift St. Alban bei Mainz, Kloster/Stift St. Ferrutius in Bleidenstadt, Jesuitenkolleg Aschaffenburg) und fuldischen (Abtei/Hochstift Fulda, Kloster/Propstei Thulba) Bereich. Allerdings konnte dabei nur auf jene Urkunden zurückgriffen werden, welche im frühen 19. Jahrhundert in staatlichen bayerischen Besitz geraten waren und den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden hatten. Zugleich wurde auch die Beständebereinigung mit den übrigen fränkischen Staatsarchiven intensiviert und kann als weitgehend abgeschlossen gelten. Vom angestrebten Ziel einer provenienzreinen Beständelandschaft ist das Staatsarchiv gleichwohl noch weit entfernt. In der nachfolgenden Übersicht sind diejenigen Provenienzen, die auch heute noch auf Mischbestände verteilt und unter deren Signaturen zu benutzen sind, durch Nennung dieser Mischbestände (in: ...) kenntlich gemacht. Auf die Angabe konkreter Stück- und Meterzahlen wird im Folgenden bei Mischbeständen im Hinblick auf die durch Ordnungsarbeiten bereits eingetretenen und noch zu erwartenden Veränderungen verzichtet.